ANCIENT SPIRIT
ANTHRAX (23.März 2003)

Pic (c) by Verena LosatANTHRAX sind sicherlich eine der ganz großen Bands des harten Genres, obwohl sie von den Verkaufszahlen her nie an die ebenfalls Anfang der 80er gestarteten METALLICA oder MEGADETH heranreichten. Nach langer Wartezeit haben die New Yorker jetzt mit ‘We’ve Come For You All’ wieder ein erstklassiges Album abgeliefert, welches erneut die Offenheit der Jungs anderen Musikrichtungen gegenüber dokumentiert. Dennoch ist es wie immer unverkennbar ANTHRAX. Direkt an die Albumveröffentlichung wurde eine Europatour angehängt, und vor dem letzten Deutschland-Gig, am 23. März, hatte ich Gelegenheit mit Schlagzeuger und Songwriter Charlie Benante in der Rockfabrik in Ludwigsburg zu sprechen.

Eins gleich vorweg: Eigentlich wollte ich keine Fragen zum Thema „politische Situation“ stellen. Da der Krieg im Irak nun aber begonnen hat, ANTHRAX als Kriegsgegner bekannt sind, sie mit ihrem Namen anecken und auf Tour auch mal das eine oder andere Flugzeug betreten müssen, fand ich es durchaus angebracht ein paar Fragen zu diesem Themenkomplex mit aufzunehmen.

Als ich Charlie den Interviewleitfaden vorstellte verzog der dasPic (c) by Verena Losat; Unser Stefan mit CharlieGesicht zu imaginären Schmerzen, was mir meine Vermutung bestätigte, dass die Jungs in den letzten Wochen haufenweise Fragen zum Thema Bush, Saddam und Co beantworten mussten. Allerdings stellte sich im Nachhinein heraus, dass der ANTHRAX Schlagwerker diese Fragen genauso überlegt, ausführlich und offen beantwortete wie die anderen auch. Here we go!

Charlie, ihr habt mit ‘We’ve Come For You All’ mal wieder ein Spitzen-Produkt abgeliefert. Wie performt das Album in den Charts?
„Super! Wir sind in Deutschland auf Position 22 eingestiegen. Damit sind wir sehr glücklich.“

Wovon handelt das Stück „Black Dahlia“?

„Es handelt von einem Mord an einem Mädchen in Kalifornien in den 50er Jahren (es war 1947 - Stefan). Ihr Körper wurde in zwei Hälften zerteilt aufgefunden und die Presse nannte sie Black Dahlia“

Interessant! Ich habe erst kürzlich ein Review zum Roman „Die schwarze Dahlie“ von James Ellroy geschrieben, in dem es um eben dieses Verbrechen geht. Ich habe vermutet, dass der Song davon handelt, aber der Text ist recht abstrakt und lässt keine genauen Rückschlüsse zu.

„Yeah, ich kenne das Buch, habe es aber nicht gelesen. Der Song beruht lediglich auf diesem Mord, nicht auf irgendwelchen Büchern dazu.“

Eine ganz andere Seite Eures neuen Albums ist „Cadillac Rock Box“. Was ist die Idee dahinter?

Scott mit Dimebag Darrel (PANTERA)

„Ja, das war eine witzige Geschichte. Dimebag (Darrell Abbott von Pantera - Stefan) hat immer irgendwelche Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Wir haben uns via Telefon immer wieder über das Album unterhalten. Ahm … nein, lass es mich von vorne erzählen: Dimebag sollte auf drei Stücken Gitarre spielen. Eines war noch unbenannt und aus diesem wurde dann später „Cadillac Rock Box“. Er rief mich dann also einmal zurück und sprach auf den Anrufbeantworter. „Yo, hier ist Darrell, ich rufe an aus meiner Cadillac Rock Box“, denn er fährt einen Cadillac“, lacht Charlie.

„Ein riesen Teil von einem Cadillac, in den er ein gewaltiges Sound-System eingebaut hat und in dem er auch schon mal Gitarre spielt. In dem Moment, als ich das Band abhörte dachte ich, „Yeah, das ist der Songtitel – Cadillac Rock Box“. Das Stück ist einfach sehr lustig und hat keinen konkreten Inhalt. Es ist einfach über gar nichts“, sagt er, und grinst wie ein Maikäfer!

„Wir haben ein paar von Dimebags Sprüchen genommen und in den Song gepackt. Es geht dabei nur ums Fahren, eine gute Zeit haben mit guter Musik …du weißt schon.“Pic (c) by Verena Losat Gut, das sind die „Inhalte“, aber was war die Idee dahinter? Für mich klingt es wie eine Mischung aus KISS, BLACK SABBATH und ANTHRAX.

„OK. Die Idee die ich für die Musik dieses Songs hatte war folgende: 1977 – KISS – trifft LYNARD SKYNARD – trifft ANTHRAX. Das war die Idee in meinem Kopf für dieses Stück. Du warst also sehr nahe dran. Ich bin froh, dass es so bei dir angekommen ist.“
Cool! Es ist eines meiner Lieblingsstücke auf dem Album.
„Yeah! Es ist MEIN Lieblingsstück auf der Scheibe“, platzt er heraus.
„Aber wir spielen es nicht live.“

Skandal!

„Ich liebe diesen Titel! Echt! Aber wir spielen ihn nicht … noch nicht. Nicht auf dieser Tour.“

Schade.

Nächste Frage: Was wolltet Ihr mit dem letzten Stück des Albums ausdrücken, dem Titelstück? Und was hat es mit diesem seltsamen Hidden Track danach auf sich?

„‘We’ve Come For You All’ war der Albumtitel, mit dem ich ankam. Ich wollte damit den Bogen Spannen, zurück zu der Zeit in der wir ’Spreading The Disease’ veröffentlichten. Das bedeutete damals soviel wie „unsere Musik verbreiten“. Natürlich war das auch doppeldeutig zu verstehen und konnte auch für den Milzbrand Erreger gemünzt werden, nach dem wir uns benannt haben.

‘We’ve Come For You All’ geht in eine ähnliche Richtung und bedeutet soviel wie: “Hey, hier sind wir wieder. Wir kommen zu euch allen um euch in unseren musikalischen …“ (hält inne, macht ausladende Kreisbewegungen mit den Händen) …

…Kreis? Versuche ich ihn zu unterstützen.

„Ja, genau!“, lacht er.

„Wir kommen zu euch allen um Euch in unseren musikalischen Kreis zu holen (den Mosh-Pit? - Stefan).

„Der Hidden Track … ahm … das ist einfach … hm … also das bin ich, mit dem Shaker“, erzählt Charlie zögernd, während er das Geräusch eines rasselähnlichen Instruments imitiert.

„Aber ich habe nicht gemerkt, dass ich gleichzeitig auch gesungen habe – die Zecken haben es mitgeschnitten und als Witz auf das Album gepackt.“

Nette Jungs…

Hast Du noch was, das Du mir gerne zum Album erzählen würdest? Z. B. etwas, auf das Du besonders stolz bist oder etwas, womit Du besonders zufrieden bist?

„Ich bin stolz auf das ganze Album. Auf das Album als Gesamtheit, weil es eine solche musikalische Vielfalt bietet. Es zielt nicht nur auf die Hardcore-ANTHRAX-Fans, oder andere spezielle Gruppen ab. Es ist einfach ein verdammt gutes Album mit guten Songs. Man kann nicht sagen, das ist ein Thrash Metal Album, das ist ein Heavy Metal Album oder ein Punk Album, weißt du, es ist einfach eine Ansammlung guter einzelner Songs und das ist es, worauf ich am meisten stolz bin: Jedes Stück hat seine eigene Identität.“ (Womit er verdammt recht hat!!! –

Was hat Euch eigentlich geritten Blast-Beats auf das Album zu packen? Sie fügen sich nahtlos in das andere Material ein, aber als ich „Black Dahlia“ hörte war ich dann doch etwas überrascht.

„Hm, Blast-Beats und „Black Dahlia“ … das war so … ein Teil des Stücks war von den Sessions zu unserem letzten Album, ’Volume 8’, übrig geblieben. Das Stück hat es nicht auf die Scheibe geschafft. Ja, ich hatte also diesen Teil eines Stücks, das es nicht auf das letzte Album geschafft hat und wir haben den Song „Black Dahlia“ dann drumherum gebaut, die Lücken quasi mit den Blast-Beats aufgefüllt. 1985 hatten Scott und ich ein Side-Projekt namens S.O.D. (welch lässige Untertreibung, haha!!! –Hage) und als eine der ersten Bands hatten wir damals Blast-Beats in unserer Musik.“

All right. Dann verabschieden wir uns mal vom Thema ‘We’ve Come For You All’ – wie lief denn die Tour bisher?

„Gestern (22. März - Stefan) hatten wir die meiner Meinung nach beste Show in Deutschland. Das war in Köln. Es war hervorragend, verrückt, wie alle abgegangen sind“, lacht der ANTHRAX-Schlagzeuger begeistert. (das MUSS sich nach dem Rofa-Gig einfach zugunsten des Ludwigsburg-Gig verschoben haben –Hage)

Und die Shows davor? Irland, UK, …

„Killer! Die beste UK-Tour, die wir jemals gemacht haben! Jede Show war ausverkauft. Und das hat uns echt …(er überlegt einen Moment)… geschockt! Positiv geschockt.“

Wie haben sich die Dinge auf Tour verändert? Ihr wart in den 80ern auf Tour, in den 90ern und jetzt im neuen Jahrtausend.

„Na ja, es gibt einige offensichtliche Dinge. Man ist nicht mehr ganz so entspannt, wenn man auf Tour geht. Besonders, wenn es ums Fliegen geht. Das ist wirklich ein komisches Gefühl. Das hat sich schon stark verändert gegenüber den 80ern. Ich meine, in den 80ern war alles, worüber man sich Gedanken machen musste … nein, stimmt nicht, warte … ich meinte, vor dem 11. September 2001 hat man sich Gedanken über mögliche Flugzeugabstürze gemacht. Heute musst du Angst haben, dass irgendein Idiot das Flugzeug in die Luft jagt. Deswegen ist es heute ein wenig nervenaufreibender, sich mit all dem zu befassen. Es ist ja nicht nur die Angst, es gibt auch engere Sicherheitsvorschriften usw., die einem das Leben auf Tour nicht gerade erleichtern. Was das Touren an sich angeht…na ja, wenn man älter wird, spürt man es hier und da ein wenig mehr. Du kannst nicht mehr fünf bis sieben Shows in einer Woche herunterreißen. Du bist physisch einfach schneller am Ende.“

Und wie hat sich das Tourleben für eine amerikanische Band an sich verändert? Ich meine, als ihr in den 80ern in Europa unterwegs wart, war es doch bestimmt, als wärt Ihr von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. In den Hotels gab es damals kein CNN oder anderes Kabelfernsehen, das Euch mit Nachrichten aus der Heimat hätte versorgen können. Ausländische Zeitungen waren auch nicht überall zu kriegen.

(Da grinst er schelmisch, der Gute.) „Das erste Mal, als ich nach Europa kam, war ich sehr geschockt über das, was ich dort vorfand. Es war halt nicht wie bei uns daheim. Und jeder von uns bekam einen richtigen Kulturschock. Zum Beispiel:

Als wir damals hier ankamen und in eine Raststätte einfuhren war der Laden dicht. Zu. Einfach niemand da. Und wir dachten nur, was zum Teufel ist denn das? Es gab einfach nix! (Er lacht verschmitzt.) Kein 7/11, kein Satellitenempfang – denn in Amerika haben wir eine Satellitenantenne auf unserem Tourbus, so haben wir immer Empfang. Aber hier … brrrrr“, er schüttelt sich und grinst mich an, noch immer erschaudernd ob der steinzeitähnlichen Zustände in Europa in den 80ern.

„Die andere Geschichte war, das alles was ihr hier an Fressläden hattet, Pizza Hut und McDonalds waren – und ich hasse beide! Also habe ich nichts gegessen…(er grinst wieder)…nein, ich hab Schnitzel gegessen“, sagt es und lacht sich scheckig.

Da hat’s Rob Caggiano, der neue Mann an der Gitarre (auf dem Pic ganz links), ja einfacher. Er ist ein paar Jahre jünger und musste dieses Szenario nicht durchleben. Was kannst Du mir über ihn sagen? Er ist auf Eurer Homepage nicht zu sehen, aber auf den Flyern für das neue Album sehr wohl. Ist er jetzt ein richtiges Bandmitglied?

„Oh ja, ja, ja! Er ist definitiv ein ganz wichtiges Mitglied der Truppe! Er hat das Album co-produziert. Er ist ein verdammt guter Gitarrist und weißt du … er hat uns etwas mit in die Band gebracht. Vielleicht etwas, was wir schon immer hatten, aber er hat es einfach wieder aus uns herausgeholt, er hat es zurückgebracht. Verstehst Du? Er hat UNS ein Bisschen zurückgeholt, aber dadurch auch gleichzeitig vorwärts gebracht. Er ist großartig!“

Ihr hab durch ihn also an Stärke gewonnen. Was meinst Du, ist denn die größte Stärke von ANTHRAX als Band über die ganzen Jahre gesehen?

„Ausdauer“, sagt er, lehnt sich zurück und überlegt.

„Es ist so … weißt du, wenn wir alles an uns heran gelassen und zu Herzen genommen hätten, was uns an Steinen in den Weg gelegt wurde und die Aktionen der ganzen Leute die versucht haben uns fertig zu machen, hätten wir schon vor langer Zeit aufgehört. Es ist einfach unsere Entschlossenheit, unsere Beharrlichkeit und die kreative Seite. Ich wäre der Erste, der sagen würde: „Hey, unser Material ist scheiße, lasst uns aufhören.“ Aber all dieser gute Stoff kam aus uns heraus, weißt Du? Das neue Material ist wirklich gut, wir mussten es einfach machen. Natürlich haben wir davor eine Pause gemacht, aber wir sind stärker zurückgekommen. Und das ist gut so! Weißt du, jeder muss mal ein wenig schlafen. 1996 bis 2000 schlief ein Teil unseres Publikums. Sie mussten wieder aufgeweckt werden. Aber wir hielten in der Zeit auch ein Nickerchen. Dann sind wir wieder aufgewacht und es war nun an uns unser Publikum aufzuwecken und zu sagen, „Hey, da sind wir wieder“.“

1982

1990

1993

An die Frage nach der Stärke muss sich natürlich auch die Frage nach der Schwäche anschließen. Gibt es eine große Schwäche an ANTHRAX?

„Eine Schwäche?“, fragt er entgeistert, hebt die Augenbrauen und schaut mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. (KILLER!!!! Haha, das hätt´ ich gern gesehen! –Hage)

„So was wie Kryptonit für Superman?“

Er lacht sich ein Brett. Meine Frage wurde wohl als Majestätsbeleidigung aufgefasst.

„Yesss!“, stößt er triumphierend hervor.

„Unsere größte Schwäche ist die Grippe. Jeder in der Band hat oder hatte die Grippe, das hat uns ziemlich fertig gemacht.“

Er lacht noch immer ob der Unverfrorenheit meinerseits zu fragen, ob es eine Schwachstelle an ANTHRAX gibt.

Nun gut. Wie sieht’s mit Eurer Zukunft aus? Du hast gerade gesagt, Ihr habt Ende der 90er ein kleines Nickerchen gehalten. Wie geht’s weiter? Habt Ihr Pläne? Ist alles vorstrukturiert oder nehmt Ihr es einfach so, wie es kommt?

„Nun, bestimmte Dinge sind natürlich strukturiert und voraus geplant. Man muss die Dinge ja ins Rollen bringen. Wir werden erstmal diese Tour beenden und dann eine US-Tour beginnen um danach wieder im Juni nach Europa zu kommen und auf einigen Festivals spielen. Und dann…aahhhmm…ich weiß noch nicht, was wir im Juli machen. Ich mag es einen Plan für ein paar Monate im Voraus zu haben, damit ich weiß wo ich sein werde und was ich da tue. Aber einen großen Masterplan gibt es nicht.“

Bei all dem, was Du mir bisher erzählt hast, merkt man, dass es nicht leicht ist als Musiker sein Geld zu verdienen. Gab es auch schon Zeiten, wo Du gedacht hast „das war`s, Schnauze voll, ich will nicht mehr, ich geh weg von ANTHRAX, ich zieh mich aus dem Musik-Biz zurück“?

„Aaaahhhhmmm …(Pause)…Yeah…yes! Es ist wahr, manchmal hat es mich schon erwischt. Das liegt z. B. an bestimmten Leuten, die in der Szene was zu sagen haben. In einer Rockband zu spielen und Musik zu machen ist leider nicht so einfach, wie die Leute denken. Manchmal gibt es einfach Typen, die sagen „no“, wir wollen Euch nicht. In England gibt es ein Festival, dass sich „Download Festival“ nennt. Es findet im Donington Park statt. Die Verantwortlichen dort sagten „nein, wir wollen ANTHRAX nicht. Das ist eine alte Band.“ Und dann war unsere UK-Tour komplett ausverkauft und plötzlich kamen sie wieder an und sagten „hey, vielleicht könnten wir euch auf die zweite Bühne packen“. Darauf haben wir natürlich „Fuck You!“ geantwortet. Solche Dinge sind einfach Bullshit und ziehen dich runter.“

The Bizz sucks…Was sagt Ihr denn zum derzeitigen Musikgeschehen auf der Welt?

„Müll!“

OK, ein wenig genauer möchte ich es schon wissen. Was sagst Du denn zu den „Rock’ n’ Roll Unfällen“ der letzten Monate? Ich meine KELLY OSBOURNE versucht zu singen, BRITNEY SPEARS covert „I love Rock’ n’ Roll“, Teenie Stars wie AVRIL LEVIGNE kommen hoch …

Italien 2003 mit LACUNA COIL

„Nun, was BRITNEY SPEARS betrifft … ich habe nichts dazu zu sagen. Sie macht Musik für Kids. Sie lebt ein Pop-Leben. Sie versuchte mit dem Cover wohl mehr an das erwachsene Publikum heran zu kommen, so wie’s z. B. JUSTIN TIMBERLAKE geschafft hat. Der hat nicht nur die Erwachsenen erreicht, er ist in den USA sogar vom afroamerikanischen Publikum akzeptiert worden, was wirklich ein außergewöhnlicher Erfolg ist. Ich möchte eigentlich nichts Schlechtes sagen über irgendjemanden im Musik Business, weißt Du? Es gibt viel gute Musik und viel schlechte. Das Einzige, was ich zum derzeitigen Musikgeschehen sagen kann ist, dass es sehr mittelmäßig ist. Was es braucht ist eine Art Jungfräulichkeit bei neuen Acts. Es ist nicht damit getan das zu tun, was andere vorher auch schon getan haben. Gerade auch in der Hard Rock und Metal Szene. Es kommen so viele neue Bands raus, die schreien wie am Spieß – ohne Grund! Ich meine, ich frage mich, warum seid ihr bloß so wütend? Aber das ist gar nicht ihre eigene Grundhaltung. Die kopieren eigentlich nur die anderen Bands, die vorher schon Aggression verbreitet haben bzw. die Aggression als Stilmittel benutzt haben. Diese neuen Bands haben aber keinen wirklichen inneren Antrieb, der sich in ihrer Musik niederschlägt. Das macht für mich alles einfach keinen Sinn. Wenn ich so was am Radio höre schalte ich aus. Ich mag das nicht.“

Das waren also eher die negativen Seiten. Gab es in den letzten Monaten denn etwas, das Dich überrascht hat? Etwas Neues, das herauskam und von dem Du gesagt hast „ja, das ist es, endlich mal wieder gute Musik“?

(lacht und überlegt lange) „Nein, eigentlich nichts. So was hab ich zuletzt vor Jahren erlebt! OK, hör zu: Gestern hatten wir eine Autogrammstunde im Kölner Saturn. Und der Besitzer sagte, wir könnten uns danach ein paar CDs raussuchen. Und ich fand eine CD, die ich schon eine lange Zeit nicht mehr gehört hatte. Kennst du ACCEPT? ’Restless And Wild’? (scheißt ein Bär in den Wald? - Stefan) (nur wenn er kein Benehmen hat! – Hage)
Das ist eins meiner absoluten Lieblingsalben aller Zeiten! Das hat mich damals echt umgehauen! Ein Lieblingsalbum der ganzen Band! Wenn es ’Restless And Wild’ nicht gegeben hätte, würde es heute wahrscheinlich ANTHRAX nicht geben. Ich hab mir also die Scheibe geschnappt und sie gestern Abend in der Umkleidekabine aufgelegt. (Jetzt grinst wie ein kleines Kind, das von seinem liebsten Nintendo Spiel erzählt.) Und als wir die ersten Töne hörten (er versucht das kultige „heidi heido heida“ nachzusingen) waren wir alle wieder richtig heiß, so dass wir während der Zugabe „Fast as a Shark“ spielten. Das war sooo geil!!!“

Hm, Dich überzeugen die neuen Acts in der Szene also nicht. Die haben aber Airplay. Wie sieht das bei ANTHRAX aus? Ich meine, hast Du schon mal daran gedacht Euren Stil etwas zu verändern, oder Stücke zu schreiben, die besser Chancen haben im Radio gespielt zu werden, wie es z. B. METALLICA oder MEGADETH gemacht haben?

(Wieder überlegt Charlie sehr lange) „Ja. Ja, das habe ich. Aber niemals in dem Sinn, dass ich gesagt habe, OK, ich nehme mir jetzt ein Stück Papier und schreibe einen Radio Song. Es gibt einen Song namens „Safe Home“ auf dem neuen Album. Das Stück kam einfach aus uns heraus. Das ist ein Song, der im Radio gespielt werden könnte, aber es war niemals als Song gedacht, der definitiv im Radio gespielt werden sollte. OK? So wird es auch niemals sein. Wenn es sich ergibt, OK, wenn nicht, dann nicht. Ich werde nicht gezielt Stücke fürs Radio schreiben. Aber eines muss ich noch dazu sagen: Derzeit ist es in den Staaten so, daß du, wenn du nicht im Radio gespielt wirst, nichts verkaufst. Keine Chance. Deswegen ist es im Augenblick eine ziemlich harte Zeit für uns. Wir sind eine Band, die mit nichts angefangen hat. Wir haben unsere Fanbasis damit geschaffen, dass wir Leute getroffen haben, dass wir zu den Leuten gekommen sind und dass wir getourt haben. Alles ohne Radio. Heute ist die Situation eine andere und wir müssen dieses Spiel mitspielen.“

OK, für den letzten Teil des Interviews habe ich noch ein paar Fragen zur derzeitigen Weltpolitik. Ich hab gesehen, wie genervt Du vorhin gekuckt hast – ich stelle die Fragen und Du antwortest, wenn Du willst.

„OK, paßt schon, leg los.“

Was hältst Du davon, dass einige amerikanische Radiostationen die DIXIE CHICKS aus dem Programm genommen haben, weil sie sich kritische Äußerungen über Präsident Bush erlaubt haben?

„Ich finde das ziemlich ignorant! Es ist einfach dumm. Die Sängerin der DIXIE CHICKS hat etwas gesagt, das von Herzen kam, weil sie starke Gefühle für etwas hegt - sie hat Kinder. Vielleicht hat sie einfach Angst, wie viele andere Leute auch, OK? Sie stand vor ihrem Publikum und hat das gesagt, was ihr am Herzen lag. Vielleicht hat sie vor dem Auftritt CNN geschaut und hat dort George Bush gesehen, der wieder irgendwas Dummes gesagt hat. Viele Leute würden derzeit so was über George Bush sagen. Wir haben im Hotel CNN gesehen und da war dieses „fuckin’ Asshole“ Donald Rumsfeld – ich kann den Kerl nicht leiden. Aber was sollen wir tun? Wir können treten, schreien und schlagen, aber es wird einfach nichts ändern. All diese Leute die protestieren…das ändert alles leider nichts. Es ändert nichts, sorry…(lange Pause)…schau, ich bin Amerikaner, so wie du Deutscher bist. Es ist doch so, was immer der Präsident sagt…du kannst dir dabei auf die Zunge beißen und denken, oh no! Aber hey, du bist doch Amerikaner und du willst deinem Land doch beistehen. Leider ist es so, dass wir überhaupt nicht einverstanden sind mit dem, was derzeit abläuft. Wir wollen keinen Krieg!

Aber, ich will dir eines sagen: Saddam Hussein ist eine wirklich üble Person. Die Sache, die diese dummen Protestierenden einsehen müssen ist, dass sie sich vielleicht mal mit dem irakischen Volk unterhalten sollten. Diese Leute werden ihnen sagen, wie schlimm es wirklich ist. Mit denen sollten sie sprechen, nicht mit irgendjemandem in Deutschland oder irgendwo sonst auf der Welt. Ihr wisst nicht, wie schlimm es dort wirklich ist. Wir wissen es auch nicht, niemand weiß es, außer den armen Irakern selber. Heute habe ich in den Nachrichten gesehen, wie eine Gruppe von Irakern befragt wurde. Jeder, der von Saddam Husseins Herrschaft auf die eine oder andere Art betroffen wurde, Folter, Verfolgung, abhacken von Gliedmaßen, etc., sollte einen Arm heben. Jeder hob einen Arm! Was ich damit sagen will ist, dass dieser Saddam Hussein ein echter Drecksack ist, der weg muss. Die Amerikaner und Engländer machen das jetzt. Aber es gefällt mir dennoch nicht. Ich will einfach, dass niemand verletzt wird, aber dennoch kann ich die Augen vor der Realität nicht verschließen.“

Um noch mal auf die Ausgangsfrage mit den DIXIE CHICKS und ihre Verbannung aus dem Radio zurück zu kommen: Glaubst Du, daß es in naher Zukunft für Künstler notwendig sein wird eine patriotische Attitüde an den Tag zu legen, wenn sie in den USA Erfolg haben wollen?

„Ich denke, dass diese DIXIE CHICKS-Affäre nächste Woche vergessen sein wird. Sie hat das nur gesagt, weil sie Angst hatte. Ihr Publikum…na ja, da sind viele Rednecks dabei“, lacht Charlie.

„Da muss man mit solchen Äußerungen eben aufpassen. Das hat jetzt Staub aufgewirbelt, aber das wird sich alles bald wieder legen.“

Meinst Du, dass es dazu kommen könnte, dass Ihr Eure Tour abbrecht, falls der Krieg intensiver wird, oder es zu Anschlägen außerhalb des Irak kommt? Ihr habt ja schließlich alle Familie.

„Einige Leute sagen, dass dieser Krieg den Terrorismus anwachsen lassen wird. Wie viel mehr denn noch? Wie viel mehr? Es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte. Ich muss schauen, wie ich damit klar komme, genauso wie du schauen musst, wie du damit klar kommst. Gestern habe ich mit meiner Mutter telefoniert und sie hat mir gesagt, dass sie große Angst um mich hat, wo ich doch in Europa unterwegs bin, so nahe am Krieg. Ich sagte ihr „Hey, du hast Angst um mich? Ich habe mehr Angst um Euch daheim“! In den USA würde ich derzeit in kein Flugzeug steigen, das ist sicher! Wir fühlen uns hier in Deutschland und auf unserer Tour in Europa sehr sicher. Ich glaube nicht, dass etwas passieren wird.“

Dein Wort in Gottes Ohr!

OK, dann bedanke ich mich vielmals bei Dir für dieses ausführlich und offene Interview. Ich wünsche Euch viel Erfolg weiterhin, eine gute Show heute Nacht und eine grandiose Tour.

„Alles klar, vielen Dank. Bye!“

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