ROCK HARD 136 Von Howard Stern gerettet Obwohl das vorletzte Album von ANTHRAX, "The Sound Of White Noise", in den Staaten vergoldet wurde (500.000 Einheiten) und weltweit mehr als eine Million Exemplare über die Ladentheke wanderten, ließ das alte Label der New Yorker, der Major-Riese Elektra, die Jungs mit ihrem Folgealbum "Stomp 442" fallen wie eine heiße Kartoffel. Mit der Konsequenz, daß die siebte Studio-Scheiblette der New Yorker Metalheads in Amiland "nur" noch 100.000mal den Besitzer wechselte. "Die meisten Fans bekamen gar nicht mit, daß wir eine neue Scheibe draußen hatten, weil Elektra sich weigerten, "Stomp 442" zu promoten, und auch keinen Toursupport zahlen wollten", blickt Sänger John Bush, der mir via Telefon aus dem Büro seiner deutschen Plattenfirma EastWest zugeschaltet ist, im Zorn zurück. "Das war anfangs natürlich ein großer Schock für uns. Besonders für Charlie (Benante, Drummer - der Verf.), der eine Weile völlig durchhing. Im nachhinein sind wir aber froh, daß es zum Split kam, denn all die negativen Ereignisse haben uns wieder hungrig gemacht und zu neuen Taten motiviert. Ohne diese ganze Scheiße wäre "Volume 8 - The Threat Is Real" sicher nicht so eine brillante Scheibe geworden." Wie auch der unangefochtene Platz an der Sonne im Soundcheck unserer letzten Ausgabe eindrucksvoll untermauert. Meiner bescheidenen Meinung nach gehört die achte Langrille aus dem Hause ANTHRAX sogar zu den besten Hartwurst-Alben der letzten drei, vier Jahre, ist der Combo mit "Volume 8" doch in beeindruckender "Best of both worlds"-Manier der (fast) perfekte Brückenschlag zwischen traditionellem Thrash Metal und modernen, groovigen Härtnersounds à la White Zombie, Pantera & Co. gelungen, ohne daß das durchweg eingängige Songmaterial dabei antiquiert oder trendy klingt. Zudem haben sich die Jungs, die Mitte der Achtziger mit Platten wie "Spreading The Disease" und "Among The Living" gemeinsam mit Metallica, Slayer und Megadeth zur Speerspitze des Thrash-Movements gehörten, jede erdenkliche Mühe gegeben, möglichst abwechslungsreich zu Werke zu gehen. So enthält das aktuelle, von ANTHRAX übrigens selbstfinanzierte Werk neben zahlreichen zeitgemäßen Mosh-Granaten wie 'Inside Out', 'Alpha Male', 'Born Again Idiot', 'Piss N Vinegar' und dem alles überragenden 'Catharsis' (nachzuhören auf unserer neuen RH-CD - Red.), kurzen, S.O.D.-mäßigen Hardcore-Eruptionen ('604', 'Cupajoe') und dem astreinen Country & Western-Song 'Toast To The Extras' mit dem von Basser Frank Bello geschriebenen und gesungenen 'Pieces' sogar einen "versteckten" Track, der Frankies vor knapp zwei Jahren ermordetem Bruder gewidmet ist. Aufgenommen wurden die insgesamt 15 Nummern (auf der Limited Edition findet sich mit 'Giving The Horns' noch ein weiterer Bonussong) im bandeigenen Krustys Funhouse Studio, das sich in einem alten Druckereigebäude im New Yorker Stadtteil Yonkers befindet. "Nachdem wir urplötzlich ohne Plattenfirma dastanden, beschlossen wir, eine größere Summe in den Bau eines eigenen Aufnahmeraums zu stecken, anstatt erneut für eine Menge Geld ein teures Studio anzumieten. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, ohne zeitlichen und finanziellen Druck in aller Ruhe an den Stücken zu arbeiten. Im Augenblick sind wir zwar pleite, aber ich denke schon, daß sich die Investition letztlich bezahlt machen wird, weil die neue Scheibe sehr amtlich klingt. Abgemischt haben wir die Lieder allerdings in einem „richtigen“ Studio", weiß John zu berichten, der bis 1992 bei den legendären Armored Saint sang, bevor er Joey Belladonna bei ANTHRAX am Mikro ersetzte. Vertickt hat die Kapelle ihre formidable CD in den USA schlußendlich an Ignition, ein Unterlabel der Rap-Firma Tommy Boy-Records, obwohl u.a. auch Metal Blade daran interessiert waren, "Volume 8" zu veröffentlichen. "Brian Slagel (Boß von Metal Blade - d.Verf.) hätte uns gerne auf seinem Label gesehen, konnte aber mit dem finanziell besseren Angebot von Ignition nicht ganz mithalten. Für mich persönlich war die Situation alles andere als leicht, weil ich mit Armored Saint ja jahrelang bei Brian unter Vertrag stand und so in eine Art Interessenskonflikt geriet. Aber ich denke schon, daß wir bei Ignition gut aufgehoben sind. Unter anderem, weil dort auch einige alte Veteranen des Musikbiz arbeiten, die allesamt voll hinter unserem Album stehen. Kurioserweise kümmert sich in Deutschland mit EastWest Records der Vertrieb von Elektra um unsere Belange. Deshalb starre ich auch gerade auf ein riesiges Elektra-Logo an der Wand. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, das Ding mit Farbe zu überpinseln, haha. Eigentlich hegen wir aber keinen wirklich ernsthaften Groll mehr gegen unsere ehemalige Company." Immer noch ausgesprochen gut versteht sich John, der noch nie so gut gesungen hat wie auf "Volume 8", mit seinen ehemaligen Armored Saint-Mitstreitern, weshalb immer mal wieder über eine Reunion dieser großartigen Metal-Formation aus L.A., die ´91 mit "Symbol Of Salvation" ihren letzten Longplayer rausbrachte, spekuliert wird. Schenkt man Ex-Basser Joey Vera, der gerade bei Fates Warning seine Asche verdient, Glauben, ist für das nächste Jahr definitiv ein Comeback der "gepanzerten Heiligen" geplant."Im Moment konzentriere ich mich nur auf ANTHRAX und unsere neue Scheibe. Ob es nach der Welttour, die uns im Herbst auch in die deutschen Clubs führen wird, zu einer Armored Saint-Reunion kommt, bleibt abzuwarten", will Mr. Bush zum Abschluß die gute Nachricht leider nicht bestätigen. Da reicht er lieber den Telefonhörer an seinen Freund, Wohnungsgenossen und Bandkollegen Scott Ian (g.) weiter, der unlängst auf dem neuen Album "Angels With Dirty Faces" des „Wunderkindes des TripHop“ (Zitat Stern), Tricky, mitwirkte. "Tricky war von meinen Gitarrenparts so begeistert, daß ich sogar auf insgesamt sechs Songs zu hören bin. Mir hat die Zusammenarbeit mit ihm ebenfalls unheimlich viel Spaß gemacht. Auch weil seine Musik (eine tanzbare Mischung aus Rap-, Jazz-, Ska- und Techno-Elementen - d.Verf.) unglaublich abstrakt, obskur und unkommerziell ist", erzählt Scott "Not" Ian, der sich das ganze letzte Jahr mit persönlichen Problemen rumschlug. "Die Trennung von meiner Frau war eigentlich eine gute Sache. Schlimm war allerdings die Zeit davor, weil die Kommunikation nicht mehr stimmte und keiner von uns beiden wußte, was zwischen uns falsch lief. Aber mittlerweile verstehen wir uns besser denn je und sind sogar ausgesprochen gute Freunde. Daß wir keine gemeinsamen Kinder haben, hat die ganze Geschichte natürlich einfacher gemacht."Großes Aufsehen erregte der kleine Axeman letzten Sommer, als er mit besoffenem Kopf in das Stadion "seiner" Baseball-Faves, der New York Yankees, einbrach und dabei prompt verhaftet wurde. "Als wir im August ´97 genug Stücke für das neue Album beisammen hatten, beschlossen wir, einige Wochen Urlaub zu machen, bevor wir die Songs aufnehmen wollten. Also bin ich nach Tampa/Florida geflogen, um ein paar Freunde zu besuchen. Außerdem wollte ich bei der Gelegenheit ein wenig Dampf ablassen, der sich in den acht, neun arbeitsreichen Monaten davor angesammelt hatte, weshalb ich mich gleich am ersten Abend mit meinen Kumpels mächtig zulaufen ließ. Wie es der Zufall so wollte, kamen wir just in dieser Nacht an dem Stadion der New York Yankees vorbei, die vor dem Start der Saison im Herbst immer in Tampa ihr Trainingslager aufschlagen. Da ich bekanntermaßen ein riesengroßer Yankees-Fan bin, wollte ich eigentlich nur mal über das Feld laufen und ein paar Fotos mit meiner Pocketkamera machen. Leider kam ich auf dem Rückweg zu meinen Kumpels, die vor dem Stadion im Auto auf mich warteten, auf die Schnapsidee, noch ein Souvenir mitzunehmen. Also bin ich zurück aufs Feld und habe versucht, eine dieser riesigen Fußmatten mit dem Yankees-Logo ins Auto zu schleppen. Da ich aber völlig besoffen war und das Ding zudem noch mindestens 150 Pfund wog, bin ich auf dem nassen Rasen ständig ausgerutscht, weshalb ich meinen Plan schnell aufgab. Außerdem hätte ich das große Ding eh nie ins Flugzeug bekommen. Dummerweise haben mich die Videokameras der Security dann irgendwann entdeckt, woraufhin gleich die Cops alarmiert wurden, die mich direkt vor dem Stadion in Empfang nahmen. Einer der Polizisten hat mich sogar erkannt und gefragt, was ich in Herrgottsnamen denn hier verloren hätte." Da ich betrunken war, habe ich den Ernst der Lage anfangs völlig verkannt und nur lachend gelallt: "Was wollt ihr denn von mir? Ich hab´ doch nichts gemacht, und gestohlen habe ich auch nichts. Wenn ihr wollt, könnt ihr mich ja durchsuchen." Daraufhin hat der eine Beamte versucht, der Security auszureden, Anzeige wegen Einbruchs gegen mich zu erstatten. Da die Jungs nicht wußten, was sie tun sollten, riefen sie kurzerhand den in Tampa wohnenden Besitzer der Yankees, George Steinbrenner, an, der nur kurz und bündig meinte: "I don´t give a fuck who he is: He is going to jail." Also brachten mich die Cops in den Knast, wo ich sechs oder sieben Stunden in einer Zelle mit einigen betrunkenen Verkehrssündern verbringen mußte, von denen mindestens die Hälfte ANTHRAX-Fans waren. Irgendwann hat mich dann einer der Typen gefragt, warum ich denn im Knast sei. Als ich den Jungs erzählte, daß ich ins Yankees-Stadion eingebrochen bin, um eine Fußmatte zu klauen, hat die ganze Zelle inklusive Wärter schallend gelacht. Aber eigentlich war die ganze Geschichte gar nicht so lustig, weil gegen mich Anzeige erstattet wurde, woraufhin ich einen teuren Anwalt einschalten mußte. Glücklicherweise hat mein guter Kumpel Howard Stern, der hier in Amerika eine der populärsten Radioshows moderiert, erreicht, daß ich mich persönlich bei Mr. Steinbrenner in aller Form entschuldigen konnte. Zwei Wochen später riefen seine Anwälte dann bei meinem Advokaten an und erklärten, daß Herr Steinbrenner beschlossen hätte, die Anzeige zurückzuziehen. Howard Stern hat also meinen Arsch gerettet. Zwar hätte man mich wegen dieser Sache wohl kaum zu einer Gefängnisstrafe verdonnert, doch eine beträchtliche Geldstrafe wäre bestimmt gegen mich verhängt worden. Außerdem hätte ich sicher einige Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten müssen. Auf der anderen Seite hat uns die Geschichte natürlich eine Menge Publicity eingebracht. Noch Monate danach bin ich in New York ständig mit den Worten "Hi Scott, wo hast du denn die Yankees-Matte gelassen?" begrüßt worden. Verarbeitet hat Scott, der bei ANTHRAX zusammen mit John für die Lyrics zuständig ist, während Drummer Charlie seit jeher die Musik schreibt, die kuriosen Geschehnisse von Tampa und die schmerzliche Trennung von seiner Frau in dem grandiosen Song 'Catharsis', was ins Deutsche übersetzt soviel wie "innerliche Reinigung" bedeutet. "Als ich seinerzeit von Florida nach New York zurückflog und mir über Köpfhörer die Musik zu diesem Song anhörte, sind die Wörter innerhalb von wenigen Minuten nur so aus mir rausgeflutscht. Und als der Text dann nach weniger als einer Viertelstunde fertig war, hat plötzlich wieder die Sonne in meinem Herzen geschienen. Wahrscheinlich mußte ich erst durch all diese Scheiße gehen, um wieder Land zu sehen", analysiert der glatzköpfige Ziegenbartträger, der ebenso wie Frank und Charlie mittlerweile "gerne und häufig" Bier trinkt, nachdem sich ANTHRAX früher nur alle Jubeljahre mal eine Büchse Gerstensaft hinter die Binde kippten. "Wir haben uns in den Achtzigern lieber total auf die Band konzentriert, anstatt uns permanent die Rübe zuzuhauen, wie es bei vielen anderen Acts gang und gäbe war. Außerdem hatte unser damaliger Sänger Joey Belladonna ein Alkoholproblem, weshalb wir es partout vermieden, in seiner Gegenwart zu trinken. Zeitweise verzichteten wir sogar auf jegliches Bier in unserer Garderobe, weil wir Angst davor hatten, daß sich Joey daran vergreifen würde. Erst der Einstieg von John hat uns alle zu Alkis gemacht, haha!" Während Mr. Belladonna schon seit geraumer Zeit keinen Tropfen mehr anrührt: "Wir haben Joey auf unserer letzten Tournee im Vorprogramm von Pantera das erste Mal seit fünf oder sechs Jahren wiedergetroffen. Als er am Nachmittag in unserer Garderobe das ganze Bier und den Whisky sah, wollte er uns erst gar nicht glauben, daß wir mittlerweile häufiger mal einen zur Brust nehmen. Abends hat er dann zusammen mit John 'Indians' gesungen. Das war schon eine tolle Sache, auch wenn es natürlich schon ein komisches Gefühl war, Joey nach so langer Zeit wiederzusehen. Zumal der gute Mann noch genauso aussieht wie früher." Auch von Dan Spitz, der jahrelang bei ANTHRAX die Leadaxt bediente, und Neil Turbin, der auf dem ´83er "Fistful Of Metal"-Debüt der Thrasher für die Vocals sorgte, hat Scott "erst kürzlich" wieder gehört. "Neil ist mir vor ca. eineinhalb Jahren vor dem Rainbow in L.A. das letzte Mal über den Weg gelaufen. Mehr als ein paar Worte konnten wir allerdings nicht wechseln. Auf alle Fälle sah auch er noch wie früher aus, der alte Poser! Danny wohnt mittlerweile in der Schweiz, wo er in Zürich auf eine ganz exklusive Uhrmacherschule geht, die pro Jahr nur 100 Leute aufnimmt und die man fünf Jahre besuchen muß. Tja, Danny war halt schon immer ein sehr geschickter Bastler, und wenn er die Schule packt, kann er in ein paar Jahren sogar Rolex-Uhren zusammenbauen." Neben der schon erwähnten Armored Saint-Reunion, die trotz Johns zurückhaltender Äußerungen schon in trockenen Tüchern sein soll, steht für das nächste Jahr auch noch eine Reunion des Hardcore-Projekts von Scott und Charlie, S.O.D., ins Haus. Übrigens im Original-Line-up, bestehend aus den beiden ANTHRAX-Recken sowie M.O.D.-Frontklotz Billy Milano und Brutal Truth-Bassist Danny Lilker. "Wir werden nächstes Jahr definitiv ein neues S.O.D.-Album aufnehmen, für das wir schon elf Songs geschrieben haben. Vielleicht schaffen wir es diesmal sogar in 48 Stunden, nachdem wir für "Speak English Or Die" seinerzeit nur drei Tage Studiozeit benötigten. Es gibt auch schon einen vorläufigen Albumtitel, den ich euch aber leider noch nicht verraten kann. Ein Song heißt auf alle Fälle 'Free Dirty Needles'." Tja, wie es aussieht, können wir uns kurz vor der Jahrtausendwende gleich über zwei spektakuläre Comebacks freuen. Da soll noch mal einer sagen: "They never come back"! Buffo Schnädelbach © ROCK HARD |